Mittwoch, 27. April 2016

Als Petrus sich verliebte




Es war der 24. April, als das Wetter gänzlich anfing, verrückt zu spielen. Nachdem die ersten Menschen bereits aus ihren Winterverstecken gekrochen, sich gestreckt und verschlafen in die Märzsonne geblinzelt hatten, schauten sie nun empört in den grauen Himmel und verfluchten den vor vier Monaten noch so heiß herbeigesehnten Schnee, der nun in großen Flocken niederfiel. Die Meteorologen waren ratlos und stotterten etwas von einem verspäteten Spätwinter. Verärgert blieben die Menschen in ihren Häusern, zogen sich die Decken über den Kopf und jammerten. Ohne die Energie der Sonne saßen sie wie abgeschaltet in ihren Wohnzimmern und sträubten sich, ihr warmes Heim zu verlassen. »Bei diesem Wetter kommen gar keine Frühlingsgefühle auf«, schimpfte wieder einmal jemand und schaute dabei wehleidig aus dem Fenster.
Frühlingsgefühle. Ja, natürlich. Der Frühling als Zeit, in der die Hormone verrücktspielen und sich Männlein und Weiblein zusammenfinden, um gemeinsam dem Flügelrauschen der Schmetterlinge in ihren Bäuchen zu lauschen. Normalerweise. Denn wo kein Frühling ist, können auch keine Schmetterlinge flattern.
Aber wer nun meint, ob des winterlich anmutenden Wetters läge nirgendwo Verliebtheit in der Luft, täuscht sich gewaltig.

Denn hoch droben auf einer Wolke saß der gute Petrus, den Wochen zuvor Amors Pfeil getroffen hatte. Verträumt grinsend sah er durch seine rosarote Brille, die ihm immer wieder von der Nase zu rutschen drohte. Er fühlte sich wunderbar und scheußlich zugleich. Eine Gefühlsmischung, die er in diesem Ausmaß lange nicht mehr empfunden hatte. Seine Gedanken galten einzig und allein der Göttin Tešimi, sodass er kaum noch in der Lage war, sich auf etwas Anderes konzentrieren zu können. O wie selten hatte er ein Wesen derart verehrt wie sie. Sie war stolz und anmutig, aber gleichzeitig klug und gebildet. Ihr goldenes Haar reichte bis zu den Füßen, wenn sie im Garten ihres Schlosses saß und es sich kämmte. Petrus schlich immer wieder an ihrem prächtigen Palast vorbei in der Hoffnung, einen Blick auf ihre strahlende Schönheit zu erhaschen. Doch sobald er sie in ihrem Garten erblickte, versteckte sich der gute Mann flugs, um nicht entdeckt zu werden. Er ließ die Sonne scheinen, damit sich das Licht im goldenen Haar seiner Angebeteten spiegelte. Dieser Glanz, dieser Liebreiz, diese Vollkommenheit! Petrus glaubte, dahinzuschmelzen.
Freilich waren sich die Beiden bekannt, denn im Himmel lief man sich zwangsweise immer mal wieder über den Weg. Doch der Wettergott traute sich nicht, ihr näher zu kommen. Zu groß die Gefahr, abgewiesen und zu mächtig die Angst, verletzt zu werden. So schmachtete er aus der Ferne und wenn sie sich trafen, ließ er sich sein Begehren nicht anmerken. O weh, das war ein Fehler, denn die Göttin hegte doch gar die gleichen Gefühle für den Herrscher über Wind und Regen. Sein kühles Gebaren ließ sie jedoch annehmen, er hätte kein Interesse und so gab sie sich Nerik hin, dem Wettergott Anatoliens, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken. Nerik war einflussreich und von Frauen begehrt. Tešimi erntete so manch neidischen Blick und die Nachricht von ihrer Verbindung verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Himmelsreich. Als Petrus davon erfuhr, versank er in tiefem Schmerz. Er weinte viele Tage und Nächte und seine dicken Tränen fielen auf die Erde.

Dort ärgerten sich die Menschen über das furchtbar schlechte Regenwetter, nichtsahnend, welch ungleich größere Dramen sich weit über ihnen abspielten. Alles, worüber sie sich echauffieren konnten, war der Mangel an Sonnenschein im Frühjahr. Petrus schluchzte und sog dabei die Luft stark ein, sodass den Menschen unten auf der Erde ein eisiger Westwind die Hüte von ihren Köpfen blies.
Derart trauerte Petrus wochenlang, bis er nun am 24. April auf seinem täglichen Rundgang über die Wolken Tešimi und Nerik erblickte, die sich offenbar glücklich an den Händen hielten.
Petrus wurde böse, aus seinen Händen stoben wütende Blitze und die Tränen gefroren in ihrem Fall auf die Erde. Dort schneite, hagelte und stürmte es wie zuletzt im tiefsten Winter. Die Menschen kannten kaum noch ein anderes Thema. Sie posteten Bilder von verschneiten Straßen und taten lauthals ihren Unmut darüber kund. Während oben im Himmel ihr guter Wettergott furchtbare Qualen litt, der doch sonst stets für die richtige Mischung aus Sonne und Regen sorgte und der immer bemüht war, es allen Recht zu machen (ein Unterfangen, dass den alten Mann nicht selten schon in tiefe Depressionen gestürzt hatte...).
Donnernd und vor Zorn schnaubend schritt Petrus weiter und schenkte dem jungen Paar nur einen eisigen Blick. Wie konnte Tešimi bloß auf so einen Schönling hereinfallen? Sah sie denn nicht, dass er nichts mehr als eine hübsche Hülle war?

Der enttäuschte Wettergott bekam seine Gefühle kaum noch unter Kontrolle. Trauer und Wut rangen in ihm und er hüllte sich in dunkle Wolken. Aber eines Tages, kaum einen Monat später, da vernahm er das Gerücht, dass Nerik der schönen Göttin Tešimi überdrüssig geworden war. Dessen Oberflächlichkeit und mangelnder Tiefsinn hatten die kluge Frau schließlich tatsächlich gelangweilt und sie entschloss sich, dem Ruf ihres Herzen zu folgen. Den verletzten Blick von Petrus hatte sie nämlich wohl bemerkt, als sie ihm vor einem Monat begegnet war. Dieses Treffen hatte sie nachdenklich gestimmt und so hatte sich die Göttin wider ihrer Natur entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ohne Umwege begab sie sich daher auf den Weg zu dem Mann ihres Herzen. Als sich die beiden endlich tief in die Augen blickten, fing der Himmel an zu leuchten, woraufhin die Menschen auf der Erde erneut ihre Fotoapparate zückten, um die Schönheit der Farben festzuhalten.
Petrus schloss die Göttin in seine Arme und ließ die Sonne scheinen. Über viele Wochen genossen die Verliebten auf diese Weise ihr Glück und vergaßen dabei die Welt und den Himmel um sich herum.

Es war der 24. Juli, als die Menschen auf der Erde über die schon seit Wochen anhaltende Hitze klagten und eine große Dürre drohte....


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