Samstag, 1. Oktober 2016

Herbstmelancholie


Es ist soweit: die letzten Ausläufer des Sommers werden immer schwächer und der Herbst zeigt dafür umso deutlicher sein Gesicht. Ein kräftiger Wind wehte mir heute Nachmittag bei einem Spaziergang durch den Wald um die Ohren, pustete meinen Kopf frei und das Laub von den Bäumen. Sanft rieselten Eichen- und Kastanienblätter auf die Erde und bedeckten den Boden mit einer dichten, raschelnden Schicht, durch die ich freudig strahlend hindurchwatete.

Der Herbst ist meine liebste Jahreszeit und das liegt nicht etwa daran, dass ich selbst ein Kind des Herbstes bin. Es ist vielmehr die wunderschöne Melancholie, die der Herbst jedes Jahr aufs Neue verbreitet. Die Tage werden kürzer und dunkler und wir kehren in uns, um über Vergangenes und Zukünftiges nachzudenken. Die Zeit zwischen Sommer und Winter, in der das Grün vergeht und das Leben nur scheinbar aus allen Pflanzen weicht, erinnert mich alljährlich an eines der Leitmotive der Barockepoche, vanitas. Die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Lebens wurden besonders in der Literatur des 17. Jahrhunderts thematisiert, doch eben jenes können wir Jahr für Jahr auch in der Zeit des Herbstes lesen.

Nachdenklichkeit und Melancholie hüllen uns jetzt ein und machen uns bewusst, welchen Wert das Leben hat und welche Schönheit es in sich trägt. Wenn die Sonne im Oktober untergeht und ihr warmes Licht über das bunte Herbstlaub ergießt, wird jeder diese Schönheit erkennen können, die eigentlich viel zu kitschig ist, um real zu sein. Die Natur beschenkt uns in diesen Monaten mit leckeren Äpfeln, Kürbissen und Getreide, was für uns selbstverständlich geworden ist, aber früher mit Festen gewürdigt wurde. Es ist eine Zeit der Dankbarkeit gegenüber dem Leben und der Natur, der wir begegnen und die wir genießen sollten.

Nach meiner heutigen Begegnung mit der Natur schlüpfte ich in meine Kuschelsocken, trank eine Tasse heißen Kakaos und zog mich mit einem guten Buch zurück in mein warmes Bett, während ich zufrieden dem Prasseln des Regens an der Fensterscheibe lauschte und dankbar war, im Trockenen zu sitzen.


Freitag, 2. September 2016

Wie verbringt man einen analogen Tag?

Sei mutig und wage ein Abenteuer! Verlasse das digi-Tal und lebe analog. Verbringe einen Tag ohne Laptop, Smartphone und Internet und du wirst staunen, was alles möglich ist. Für all jene, die bereits vergessen haben, ohne die neuen Medien zu überleben, folgt hier nun eine kurze Anleitung, die den Kopf befreit und garantiert glücklich macht.

Also los geht’s:
  • Schließe zuerst einmal Windows und öffne dafür ein Fenster deiner Wohnung. Atme die frische Morgenluft ein und spüre, wie sie deine Lebensgeister weckt.
  • Fahre deinen Computer herunter und starte dich selbst neu. Merkst du schon, wie herrlich nun auch du abschalten kannst?
  • Lies eine Zeitung. Schneide interessante Artikel aus und versende sie per Post an deine Freunde.
  • Plane einen Ausflug. Nimm dafür einen dieser Pläne, bei denen du später stundenlang herumbasteln musst, um sie wieder in ihre ursprüngliche Form zusammenzufalten.
  • Backe für deine Tour leckere Cookies und iss sie selbst, anstatt sie wie sonst nur im Internet zu verteilen.
  • Wie wäre es mit einem Spaziergang durch den Wald? Dort kannst du Füchse in ihrer natürlichen Umgebung beobachten, während der Firefox heute ruhen darf.
  • Oder setze dich auf eine Bank am Deich, lass den Blick über das Meer schweifen und schaue in den Himmel. Sieh nur, welch zauberhafte Formen die Clouds haben können. Erkennst du das Einhorn, das gerade von einem Schaf gefressen wird?
  • Male ein Bild von deiner Umgebung.
  • Koche dir am Abend ein leckeres Mahl, schieße davon kein Foto und lade es nicht hoch. Lade stattdessen lieber einen Freund ein, mit dem du das köstliche Essen teilst, darüber wird er sich mehr freuen.
  •  
Was dir ein solcher Tag bringt? Vielleicht fühlst du dich am Abend einfach bloß ein bisschen freier und unabhängiger, weil du dich erfolgreich dem Zwang der modernen Medien entzogen hast. Möglicherweise hast du gemerkt, wie schwer es dir fällt, die Hände ruhig zu halten, da sie nicht unentwegt über die Oberfläche deines Smartphones wischen.
Ein analog verbrachter Tag kann deinen Geist befreien und dich zu dir selbst führen. Du wirst abschalten und entspannen können und vielleicht hat dir dieser Tag sogar das Leben gerettet, weil du nicht aufshandystarrend von einem Auto überfahren wurdest.

Wie, du hängst noch immer hier rum? Was riet uns Peter Lustig damals schon immer? Genau: abschalten! ;)

Samstag, 13. August 2016

Vom Suchen und Finden der Wahrheit


Am Stamme einer toten Birke sitzend, steht sie auf einmal vor mir. Nackt.

«Wer bist du?», frage ich verwirrt.
«Die Wahrheit», antwortet sie. Einfach so. Als hätte ich gerade meine Nachbarin nach der Uhrzeit gefragt.
«Die Wahrheit? Aber... aber ich habe doch gar nicht nach dir gesucht!», stottere ich.
«Das musst du auch nicht, denn ich bin immer da», erklärt sie mit ruhiger, bestimmter Stimme und sieht mich mitfühlend an.

Ich mustere sie nachdenklich, versuche zu erkennen, wie sie aussieht, doch es gelingt mir nicht. In einem Augenblick strahlt sie eine solche Schönheit aus, die mein Bewusstsein überfordert, während ich im nächsten Moment in eine grässliche Fratze schaue und meinen Blick erschreckt abwende.

«Wieso habe ich dich noch nie zuvor gesehen?», frage ich sie blinzelnd.
«Weil du deine Augen vor mir verschlossen hast.»
«Und was passiert jetzt?»
«Das entscheidest du.»

Ich kneife die Augen zusammen und erwarte beim Öffnen, dass sie verschwunden ist. Aber nein, die Wahrheit steht noch vor mir. Zwar verschwimmt ihr Äußeres immer wieder vor meinen Augen, jedoch sehe ich ihr Inneres ganz klar. So klar wie den Meeresboden am Strand vor der griechischen Küste, schießt es mir durch den Kopf. Vorsichtig stehe ich auf und gehe ein paar Schritte den kleinen Pfad entlang als ich bemerke, dass die Wahrheit stets vor mir schwebt. 

«Bleibst du jetzt für immer bei mir?»
«Solange du mich erträgst», sagt sie da und lächelt traurig.

Donnerstag, 4. August 2016

Sieben Tage, zwölf Blasen und ein Zelt - Abenteuer Speyside Way


Schon seit geraumer Zeit wollte ich gerne einmal den nördlichen Teil Groß Britanniens erkunden. Als mich vor Kurzem dann ein guter Freund fragte, ob wir nicht zusammen eine Wanderreise machen wollten, musste ich daher nicht lange überlegen.

Kurzentschlossen ging es also raus aus dem verregneten, grauen Bremen und ab ins ebenso verregnete, dafür aber sehr grüne, Schottland. Nach knapp zwei Stunden Flug erreichten mein Reisecompagnon Jan und ich Edinburgh und sofort verliebte ich mich in dieses Fleckchen Erde. Wir verbrachten leider nur einen Abend in dieser zauberhaften Stadt, zogen mit einem echten Schotten durch die Pubs, tranken einige pints of beer und ein Glas Whisky, bevor wir müde in unsere Hostelbetten fielen.

Nach einem kurzen Abstecher ins Geburtscafé Harry Potters (The Elephant House) begann am nächsten Tag unsere Busreise über Aberdeen bis zu einem Vorort von Buckie, auf der uns sogar Scones mit Butter und Marmelade, Getränke und Süßigkeiten serviert wurden. Durch die Fenster sahen wir bereits die ersten Ausläufer der Highlands und schmiedeten Pläne für die vor uns liegende Zeit.

Am Startpunkt unserer Wanderroute angekommen, machten wir dort weiter, wo der letzte Abend aufgehört hatte und versackten in einem Pub inmitten von Bikern, Dorfbewohnern und Geburtstagsfeiern, ehe wir vor der ersten Nacht im Zelt noch ein erfrischendes Bad in der gar nicht mal so warmen Nordsee nahmen.
Für Nachahmer: Wer nicht bis ans Reiseende feuchte Klamotten im Rucksack tragen will, trocknet sich nach dem Baden erst einmal ab.

Endlich ging es los! Unsere Strecke: Der Speyside Way. Unser Ziel: Aviemore. Unser eigentliches Ziel: Der Besuch dreier Whiskydestillerien.

Wir liefen bis zur Mündung der Spey in die Nordsee, freuten uns tierisch über am Strand liegende Robben und wanderten entlang des Ufers über grüne Wiesenwege. Schnell noch einen Abstecher (zu dem Zeitpunkt waren wir noch motiviert, extra Wege in Kauf zu nehmen) zu einer stillgelegten Bahntrasse, um dann durch eine weitere Etappe durch den Wald in den größten Ort auf dem Speyside way zu gelangen: Fochabers, 2 000 Einwohner, hier steppt der Bär.
Bevor wir auf dem Zeltplatz die Bekanntschaft der Midgets machten, gönnten wir uns nach der ca. 24 km langen Strecke erst einmal eine leckere, fettige Pizza, um ein Viertel der verbrauchten Kalorien aufzufüllen.

Midgets: Kleine fruchtfliegenartige und mückenähnliche Insekten, welche in Schwärmen um deinen Körper schwirren und dich in jeglichen Millimeter Haut zwicken, den sie nur finden können. Ich habe den Interneteinträgen vor der Reise natürlich keinen Glauben geschenkt und mit einem „ach, das sind doch nur ein paar kleine Mücken“ die Tropenschutzkleidung zuhause gelassen.

Wie auf jedem Zeltplatz erwartete uns auch dort wieder ein netter, älterer Schotte, der beim Anblick unserer erschöpften Gesichter erst einmal mit ernstem Gesicht darauf hinwies, dass der Platz voll sei, und dann lauthals loslachte, als mir vor Schreck offenbar die Gesichtszüge entglitten.

Am Abend fehlte uns die Motivation sowohl dazu, noch einmal zurück in den Ort zurückzulaufen, um ein Tennent‘s zu trinken als auch dazu, Aquarellbilder zu malen. (Neue Erkenntnis: Stehen Männer beim Packen vor der Entscheidung, ob sie Gaffa-Klebeband oder Aquarellfarben mitnehmen sollten, entscheiden sie sich nicht für das, was ihr jetzt denkt.) So schliefen wir also früher als die herumtobenden Kinder, denen wir zuvor immerhin das WLAN-Passwort hatten abluchsen können.


Mit zwölf Blasen unter den Füßen liefen wir am nächsten Tag quasi wie auf Wolken (oder doch eher wie auf Nadelkissen) weiter bis Boat o Brig, wo wir feststellten, dass es wirklich keinen Ort  sondern nur eine Brücke gab (man sollte auch Reiseführern gegenüber skeptisch sein), bevor wir den ersten größeren Anstieg wagten. Zum Glück war uns der Wettergott gnädig und erfrischte uns immer wieder mit Regenschauern. Diese sorgten auch dafür, dass der Schweiß der Anstrengung des Bergauflaufens gar nicht mehr auffiel. Wir kamen uns vor wie in den Tropen: Grün, feucht, aber nicht ganz so warm.
Leider bekam ich die Rechnung für monatelange „nächste-Woche-fange-ich-aber-wirklich-mit-Sport-an“-Ausreden bereits an diesem zweiten Wandertag. Da offenbar ein unsichtbares Schwert in meinem Knie steckte, konnte ich fortan nur noch hinter Jan her humpeln. Alle Fotos, die ab dem Zeitpunkt des Abstiegs entstanden, zeigten also Jan von hinten und mich mit gequältem Gesichtsausdruck von vorn.
Dennoch nahm ich die wunderschönen alten Eichen wahr, die den Schlussteil des Weges säumten. Mit Sätzen wie „Ich glaube, in einer Meile sind wir da“, motivierte mich Jan, die restlichen 8 Meilen weiter zu kriechen und verlor bis zum Ende des Urlaubs nicht einmal die Geduld, was mich nachhaltig beeindruckt hat.

In unserem Etappenziel Craigellachie schlugen wir unser Zelt auf einer wilden Wiese auf (ok, ich gebe zu: Jan schlug es wieder einmal auf, während ich ihn dabei fotografierte) und genossen im Highlander Inn ein richtiges Abendessen, an das wir uns am nächsten Abend bei einer kalten Dose Nudeln in Tomatensoße sehnsüchtig zurückerinnern würden.
Aber erst einmal ging es am Tag darauf mit der Geschwindigkeit einer lahmenden Schnecke weiter nach Aberlouer, immer dem Keksgeruch der Walkers Shortbread-Fabrik hinterher bis zu unserer ersten Destilleriebesichtigung. Dort endet die Erinnerung.

Mit der Feststellung, dass von Aberlouer keine Busse direkt Richtung Süden fahren, nahmen wir also einen minimalen Umweg über Elgin und Inverness in Kauf und fuhren direkt an unseren Zielort Aviemore. Nicht, ohne in Elgin unsere zweite Destillerie (Glen Moray) zu besuchen und unsere Lebensgeister bei der Probe dreier Scotch Whiskys zu wecken.

Ohne die kleine Schummelei mit dem Bus hätten wir jedoch am folgenden Tag das Erlebnis verpasst, mit der Strathspey Steam Railway nach Boat of Garten zu fahren. Ein weiteres kleines Highlight für jeden Harry Potter Fan, der schon immer einmal im Hogwartsexpress reisen wollte. Durch die Zugfahrt konnten wir die letzten 10 km des Speyside ways also doch noch und ganz ohne schweres Gepäck laufen. Der Streckenabschnitt wurde im Reiseführer als einer der schönsten gepriesen und auch ohne die komplette Strecke gelaufen zu sein, waren wir uns einig, dass es stimmte. Der Weg führte durch märchenhafte Birkenwälder und eine sanfthügelige Heidelandschaft, die mich an die heimatliche Duhner Heide erinnerte, wäre da nicht das wunderbare Bergpanorama der schneebedeckten Highlands im Hintergrund gewesen. Traumhaft! Durch mystische Tunnel und über kleine Brücken führte uns der Weg schließlich zurück in die Stadt, wo wir uns erst einmal satt aßen und frisch gestärkt den Abend im Pub verbrachten. Unsere Tanzeinlage zur schottischen Dreimannband krönte den Abend für alle Beteiligten.

Und so ganz plötzlich ist der Urlaub auch schon wieder vorbei, die Erlebnisse nur noch Erinnerungen, die einem im Grau des Alltags den Tag versüßen. Schottland, du raue, grüne Schönheit, hast meine Erwartungen voll und ganz erfüllt und ich werde dich sicher noch einmal besuchen, um auch den Rest deiner Geheimnisse zu erkunden. Zwar haben wir unsere Ziele nicht ganz erfüllen können, doch habe ich gemerkt, dass es gar nicht darauf ankommt. Vielmehr geht es darum, das Leben so zu nehmen, wie es kommt und jeden Augenblick zu genießen. Und das haben wir geschafft.

Freitag, 15. Juli 2016

Ein Sprung ins kalte Wasser

Ein Sprung ins kalte Wasser,
in eine ungewisse Zukunft.
Baue ein Floß aus Hoffnung
und segle darauf davon.

Die Wellen schlagen hoch,
das Floß bricht entzwei.
Doch ich gehe nicht unter,
es eilt schon Hilfe herbei.

Du reichst mir deine Hand,
führst mich ans rettende Ufer.
Ziehen gemeinsam weiter
in ein unbekanntes Land.

O wie weit mag sie uns tragen,
unsere Seifenblase aus Glück.
Denke nicht an morgen
und schaue auch nicht zurück.

Neue Lieder ertönen
und wir tanzen zu ihnen.
Lassen uns durch die Seele
des anderen verwöhnen.

Zwei Saiten gespannt
auf einer einzigen Geige.
doch wie lange sie klingt
ist nicht bekannt.


Freitag, 17. Juni 2016

Wieso steht die Zeit nicht still?

Manchmal schleichst du nur so vor dich hin, ziehst dich zäh wie ein Kaugummi in die Länge. Zwingst mich dazu, gelassen zu bleiben und mich in Geduld zu üben.
An anderen Tagen rennst du einfach davon. Lässt mir keine Gelegenheit, durchzuatmen. Obwohl noch so viele Aufgaben auf ihre Erledigung warten, fällst du mir in den Rücken und lachst mich aus, wie ich hektisch in Panik verfalle.

All das, liebe Zeit, verzeihe ich dir, denn ich wachse an den Herausforderungen, die du mir stellst. Was ich dir jedoch nicht verzeihe, sind die Momente des Glücks, die du uns raubst. Diese fantastischen Augenblicke, in denen alles perfekt scheint, die Sorgen der Vergangenheit und die Ängste der Zukunft vergessen sind und wir einfach leben.
Wenn wir mit unseren Lieblingsmenschen beisammen sind und lachen. Wenn wir mit ihnen im Winter verschwitzt von einer Schneeballschlacht zusammen heißen Kakao trinken und im Sommer draußen am Lagerfeuer liegen, um in die Sterne zu schauen. Wenn wir bei einem Glas schlechten Weins über Sinn und Unsinn unseres Daseins philosophieren und nachts von einer besseren Welt träumen. Wenn wir am Deich sitzen und dem Rauschen der Wellen lauschen und in den Bergen auf das Echo unserer Rufe warten. Wenn wir unter Kirschblüten Nudelsalat essen, den Nachmittag im Rapsfeld verbringen und nach einer Party in Unterwäsche im Pool baden.

Für manch einen vielleicht nicht nachvollziehbar, sind diese scheinbar alltäglichen Augenblicke des Lebens die größten des Glücks. Sie bleiben immer in unserem Herzen und die Erinnerung daran lässt an dunklen Regentagen die Sonne für uns scheinen. Es sind die Momente, in denen ich dich, unbarmherzige Zeit, gerne zwingen würde, stillzustehen. Stattdessen rast du an mir vorbei und transformierst innerhalb eines Wimpernschlages die Erlebnisse in Erinnerungen. Nur ein Atemzug weiter und sie liegen bereits Jahre zurück in der Vergangenheit. Schließe ich die Augen, sehe ich die Bilder so klar und bunt vor mir, als sei das Picknick im Rapsfeld erst gestern gewesen und nicht vor einundzwanzig Jahren.

Doch, liebe Zeit, du bist klüger als ich. Denn würdest du auf meinen Wunsch eingehen und die schönsten Zeiten in die Unendlichkeit strecken, dann wüsste ich sie nicht zu schätzen. Sie wären nichts Besonderes mehr. Keine im Herzen verwahrten Erinnerungen, die mir Kraft im Alltag gäben. Daher möchte ich dir danken für die Glücksmomente im Leben, die erst durch dich so wertvoll werden.



Sonntag, 29. Mai 2016

Warten auf Irgendwann


Wann ist eigentlich irgendwann? Dieses Irgendwann, wohin all die schönen Gedanken verschoben werden: Die Reise nach Südamerika, das Schreiben eines Romans, das Finden der großen Liebe, die Eröffnung eines Cafés, der Umzug in ein neues Heim oder einfach das Treffen mit Freunden auf ein Glas Wein.

Es muss eine wunderbare Zeit sein  irgendwann. Wenn wir all das erleben, wozu wir uns heute keine Zeit nehmen, denn wir haben ja Wichtigeres zu tun. Wir müssen arbeiten und fleißig sein, Geld verdienen, damit wir uns irgendwann einmal all das leisten können, wovon wir heute träumen: Die Weltreise, das romantische Café, die Altbauvilla am See. Wir vergeuden die freie Zeit, die wir haben, stattdessen vor dem Bildschirm. Schauen uns an, was andere gerade erleben und nehmen uns vor, es selbst irgendwann einmal zu erfahren. Dann lehnen wir uns zurück, legen die Füße auf den Tisch und sind zufrieden damit, Pläne geschmiedet zu haben, die wir irgendwann verwirklichen wollen. Wir sind ja noch jung, das Leben ist lang.

Doch vielleicht kommt Irgendwann zu spät. Die richtigen Momente verpasst, in denen unsere Wünsche noch Sinn ergaben. Die Villa am See scheint allein plötzlich viel zu groß, die Eröffnung eines Cafés zu risikoreich und für die Liebe sind wir irgendwann zu verbittert. Das Gläschen Wein wartet noch immer darauf, getrunken zu werden, doch nach und nach verschwinden die Menschen aus unserem Leben, mit denen wir es genießen wollten.

Bequemlichkeit und Angst haben unser Leben ins Nichts befördert, ins ziellose Irgendwann. Und irgendwann wird alles leer sein. Eine Leere gefüllt mit verblassten Träumen, deren Zeit abgelaufen ist. Das Leben ist lang, aber endlich deshalb nimm es in die Hand und lebe jetzt und nicht irgendwann.

Donnerstag, 12. Mai 2016

Lasst uns sein, wer wir sind

Als Kind habe ich es geliebt, mich zu verstecken. Aus großen Bettlaken, Wolldecken und Kartons habe ich Höhlen gebaut in der Annahme, dass mich darunter niemand finden könne. Dort fühlte ich mich sicher und geborgen und habe die Ruhe genossen. Auch in der Grundschule haben wir in den großen Pausen nahezu jeden Tag verstecken gespielt, wenn uns nicht gerade allesamt das Lavamonster angriff und wir auf kleine Holzpalisaden flüchten mussten. Meine Freunde und ich verbrachten auf diese Weise sehr viel kostbare Pausenzeit damit, regungslos in der Buchenhecke auszuharren und möglichst keinen Mucks von uns zu geben. Es war der pure Adrenalinkick, wenn der Sucher dann nur wenige Meter an einem vorbeischlich. Schnell schlug das Herz, der Atem stand still und mit einem lauten »gefunden!« musste man schließlich doch zähneknirschend sein Versteck verlassen.

Die Freude am Verstecken bleibt auch im weiteren Leben bestehen. Jeder von uns versteckt sich - mal mehr und mal weniger. Stichwort: Soziale Identität. Je nachdem in welchem sozialen Umfeld wir uns befinden, verändern wir uns. Wir bedienen uns verschiedener Soziolekte, um unsere Sprache dem Gegenüber anzupassen, wir kopieren (oftmals unbewusst) Gestik und Mimik unserer Gesprächspartner/innen und auch unser Kleidungsstil ändert sich der Situation entsprechend. In nahezu jedem ratgebenden Handbuch zu Gesprächsführung liest man sogar die eindeutige Aufforderung, sein Gegenüber nachzuahmen. Natürlich unauffällig, es soll schließlich niemand bemerken.
Wir passen uns an, gliedern uns ein und verstecken einen Teil unseres Selbst. Oftmals zeigen wir nur ein Bruchstück unserer Persönlichkeit aus Eigenschutz. Wer zu viel Preis gibt, macht sich angreifbar und verletzlich. Auch wenn Vielen die Vorstellung der Anpassung zuwider ist, so ist sie im Leben beinahe unumgänglich. Diese Art des Versteckens, die Angleichung, muss nicht bedeuten, dass wir uns selbst verleumden; sie hilft uns aber durch den Alltag und sorgt für ein harmonisches Miteinander.

Vielmehr noch als im realen sozialen Leben verstecken wir unsere Identität im Internet. Wir geben uns einen neuen Namen und kreieren ein alternatives Ich. Viele möchten dadurch lediglich ihre persönlichen Daten schützen, aber häufig wird diese andere Identität eben auch genutzt, um sich hinter ihr zu verstecken. Unser neues Ich traut sich Dinge zu sagen, für die wir vielleicht belächelt, ausgelacht oder angegriffen werden könnten. Wir verstecken uns selbst, um uns vor Lästereien, kritischen Worten oder sogar Drohungen zu schützen. Vielleicht mag diese Einstellung feige sein, doch ist der Wunsch, sich zu maskieren, verständlich. Insbesondere jenen, die sich Worte anderer zu Herzen und Kritik bisweilen persönlich nehmen, bietet eine zweite Identität Schutz und Sicherheit. Sie trauen sich zu sagen, was sie denken oder fühlen und laufen nicht Gefahr, sozial ausgegrenzt zu werden.

Dennoch muss diese Entwicklung unserer Gesellschaft kritisch betrachtet werden. Jeder Mensch sollte angstfrei denken, sagen und tun können, was er möchte, solange er damit keinem anderen Lebewesen Leid zufügt. Dafür muss unsere Gesellschaft allerdings erst einmal lernen, Gedanken, Meinungen und Taten anderer zu akzeptieren. Viele Menschen scheinen nach der Devise »Hauptsache dagegen« zu leben.  Bloß nicht zustimmen, lieber gegenargumentieren; besser das Gedachte, Gesagte oder Geschriebene einer anderen Person aus Prinzip schlecht reden und beleidigen, anstatt eine unbekannte, neue Perspektive wahrzunehmen und darüber nachzudenken. Wer sich dann auch noch beim Rummotzen hinter einer anderen Identität versteckt, darf sich wirklich mit den Titel »Feigling« schmücken. Kritisches Hinterfragen ist gut und unbedingt empfehlenswert, aber Kritik sollte mit Bedacht und objektiv geäußert werden. Pöbelt der »Wutbürger77« unter dem Deckmantel seiner geheimen Identität gegen verfolgte Menschen, Veganer/innen, Fleischesser/innen oder Hundebesitzer/innen, dann scheint dieser Person im Leben eine zufriedenstellende Aufgabe zu fehlen. Jene Menschen, die durch solche Handlungen ihren eigenen Frust und ihre eigene Unzufriedenheit an ihren Mitmenschen auszulassen, sollten dringend einmal ihr Handeln hinterfragen.

Verstecken macht Spaß und es erleichtert das Leben ungemein, wenn man sich dann und wann eine andere Rolle überstülpen kann. Doch sollte dies nicht aus Angst vor Ausgrenzung heraus geschehen. Darüber hinaus sollte sich auch jeder einmal die Frage stellen, inwieweit ein solches Versteckspiel eigentlich noch gesund ist. Führt es nicht im Laufe der Zeit zu einem Identitätsverlust, wodurch wir uns selber fremd werden?
Lasst uns doch einfach öfter mal unsere Maske abnehmen, unser Versteck verlassen und sein, wer wir wirklich sind. Und lasst uns lernen, andere ohne Maskierung zu akzeptieren; versuchen, ihre Meinungen und Perspektiven nachzuvollziehen. So können wir den Umgang miteinander erleichtern und im Kleinen Frieden stiften.

Mittwoch, 27. April 2016

Als Petrus sich verliebte




Es war der 24. April, als das Wetter gänzlich anfing, verrückt zu spielen. Nachdem die ersten Menschen bereits aus ihren Winterverstecken gekrochen, sich gestreckt und verschlafen in die Märzsonne geblinzelt hatten, schauten sie nun empört in den grauen Himmel und verfluchten den vor vier Monaten noch so heiß herbeigesehnten Schnee, der nun in großen Flocken niederfiel. Die Meteorologen waren ratlos und stotterten etwas von einem verspäteten Spätwinter. Verärgert blieben die Menschen in ihren Häusern, zogen sich die Decken über den Kopf und jammerten. Ohne die Energie der Sonne saßen sie wie abgeschaltet in ihren Wohnzimmern und sträubten sich, ihr warmes Heim zu verlassen. »Bei diesem Wetter kommen gar keine Frühlingsgefühle auf«, schimpfte wieder einmal jemand und schaute dabei wehleidig aus dem Fenster.
Frühlingsgefühle. Ja, natürlich. Der Frühling als Zeit, in der die Hormone verrücktspielen und sich Männlein und Weiblein zusammenfinden, um gemeinsam dem Flügelrauschen der Schmetterlinge in ihren Bäuchen zu lauschen. Normalerweise. Denn wo kein Frühling ist, können auch keine Schmetterlinge flattern.
Aber wer nun meint, ob des winterlich anmutenden Wetters läge nirgendwo Verliebtheit in der Luft, täuscht sich gewaltig.

Denn hoch droben auf einer Wolke saß der gute Petrus, den Wochen zuvor Amors Pfeil getroffen hatte. Verträumt grinsend sah er durch seine rosarote Brille, die ihm immer wieder von der Nase zu rutschen drohte. Er fühlte sich wunderbar und scheußlich zugleich. Eine Gefühlsmischung, die er in diesem Ausmaß lange nicht mehr empfunden hatte. Seine Gedanken galten einzig und allein der Göttin Tešimi, sodass er kaum noch in der Lage war, sich auf etwas Anderes konzentrieren zu können. O wie selten hatte er ein Wesen derart verehrt wie sie. Sie war stolz und anmutig, aber gleichzeitig klug und gebildet. Ihr goldenes Haar reichte bis zu den Füßen, wenn sie im Garten ihres Schlosses saß und es sich kämmte. Petrus schlich immer wieder an ihrem prächtigen Palast vorbei in der Hoffnung, einen Blick auf ihre strahlende Schönheit zu erhaschen. Doch sobald er sie in ihrem Garten erblickte, versteckte sich der gute Mann flugs, um nicht entdeckt zu werden. Er ließ die Sonne scheinen, damit sich das Licht im goldenen Haar seiner Angebeteten spiegelte. Dieser Glanz, dieser Liebreiz, diese Vollkommenheit! Petrus glaubte, dahinzuschmelzen.
Freilich waren sich die Beiden bekannt, denn im Himmel lief man sich zwangsweise immer mal wieder über den Weg. Doch der Wettergott traute sich nicht, ihr näher zu kommen. Zu groß die Gefahr, abgewiesen und zu mächtig die Angst, verletzt zu werden. So schmachtete er aus der Ferne und wenn sie sich trafen, ließ er sich sein Begehren nicht anmerken. O weh, das war ein Fehler, denn die Göttin hegte doch gar die gleichen Gefühle für den Herrscher über Wind und Regen. Sein kühles Gebaren ließ sie jedoch annehmen, er hätte kein Interesse und so gab sie sich Nerik hin, dem Wettergott Anatoliens, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken. Nerik war einflussreich und von Frauen begehrt. Tešimi erntete so manch neidischen Blick und die Nachricht von ihrer Verbindung verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Himmelsreich. Als Petrus davon erfuhr, versank er in tiefem Schmerz. Er weinte viele Tage und Nächte und seine dicken Tränen fielen auf die Erde.

Dort ärgerten sich die Menschen über das furchtbar schlechte Regenwetter, nichtsahnend, welch ungleich größere Dramen sich weit über ihnen abspielten. Alles, worüber sie sich echauffieren konnten, war der Mangel an Sonnenschein im Frühjahr. Petrus schluchzte und sog dabei die Luft stark ein, sodass den Menschen unten auf der Erde ein eisiger Westwind die Hüte von ihren Köpfen blies.
Derart trauerte Petrus wochenlang, bis er nun am 24. April auf seinem täglichen Rundgang über die Wolken Tešimi und Nerik erblickte, die sich offenbar glücklich an den Händen hielten.
Petrus wurde böse, aus seinen Händen stoben wütende Blitze und die Tränen gefroren in ihrem Fall auf die Erde. Dort schneite, hagelte und stürmte es wie zuletzt im tiefsten Winter. Die Menschen kannten kaum noch ein anderes Thema. Sie posteten Bilder von verschneiten Straßen und taten lauthals ihren Unmut darüber kund. Während oben im Himmel ihr guter Wettergott furchtbare Qualen litt, der doch sonst stets für die richtige Mischung aus Sonne und Regen sorgte und der immer bemüht war, es allen Recht zu machen (ein Unterfangen, dass den alten Mann nicht selten schon in tiefe Depressionen gestürzt hatte...).
Donnernd und vor Zorn schnaubend schritt Petrus weiter und schenkte dem jungen Paar nur einen eisigen Blick. Wie konnte Tešimi bloß auf so einen Schönling hereinfallen? Sah sie denn nicht, dass er nichts mehr als eine hübsche Hülle war?

Der enttäuschte Wettergott bekam seine Gefühle kaum noch unter Kontrolle. Trauer und Wut rangen in ihm und er hüllte sich in dunkle Wolken. Aber eines Tages, kaum einen Monat später, da vernahm er das Gerücht, dass Nerik der schönen Göttin Tešimi überdrüssig geworden war. Dessen Oberflächlichkeit und mangelnder Tiefsinn hatten die kluge Frau schließlich tatsächlich gelangweilt und sie entschloss sich, dem Ruf ihres Herzen zu folgen. Den verletzten Blick von Petrus hatte sie nämlich wohl bemerkt, als sie ihm vor einem Monat begegnet war. Dieses Treffen hatte sie nachdenklich gestimmt und so hatte sich die Göttin wider ihrer Natur entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ohne Umwege begab sie sich daher auf den Weg zu dem Mann ihres Herzen. Als sich die beiden endlich tief in die Augen blickten, fing der Himmel an zu leuchten, woraufhin die Menschen auf der Erde erneut ihre Fotoapparate zückten, um die Schönheit der Farben festzuhalten.
Petrus schloss die Göttin in seine Arme und ließ die Sonne scheinen. Über viele Wochen genossen die Verliebten auf diese Weise ihr Glück und vergaßen dabei die Welt und den Himmel um sich herum.

Es war der 24. Juli, als die Menschen auf der Erde über die schon seit Wochen anhaltende Hitze klagten und eine große Dürre drohte....


Donnerstag, 21. April 2016

Sei, wer du bist...


Sei doch einfach mal du selbst
und befreie dich aus Konventionen,
die dir Tag für Tag den Atem rauben.
Denk, was du willst,
sag, was du denkst,
tu, was du sagst
und sieh die Welt mit anderen Augen.





Dienstag, 12. April 2016

Bargeldloses Zahlen – Gemeinde führt neue Kuchenwährung ein


Es duftet nach frisch gebackenem Käsekuchen, nach warmen Apple-Pie und buttrigen Vanillekipferln. Die Menschen hier sehen anders aus, zufriedener. Nur wenige Autos fahren auf den Straßen, dafür sind umso mehr Menschen auf sogenannten Prinzenrollern unterwegs. »Edouard de Beukelaer hat eine Möglichkeit gefunden, die großen, runden Doppelkekse so als Räder zu verwenden, dass sie dem Druck standhalten, den ein normalgewichtiger Mensch auf das Gefährt ausübt«, erklärt Franz Sacher und fügt stolz hinzu »UMWELTSCHUTZ wird bei uns großgeschrieben«.

Der gebürtige Österreicher ist vor sieben Jahren auf die kleine Insel Heidesand gezogen, welche zu den Cookie-Inseln im Südschokoladenmeer gehört. Nun steht er am weißen Zuckerstrand und blickt zufrieden über das Meer auf die nur 34 km weiter westlich gelegene Lebkuchenküste. Sacher trägt einen großen Strohhut auf dem Kopf und in seinem Bart haftet noch ein wenig Puderzucker. »Mein Leben in Österreich war trist und grau. Ich mochte die Leute nicht. Sie sind kleingeistig und lassen ihre eigene Unzufriedenheit an ihren Mitmenschen aus. Dieses unfreundliche Miteinander habe ich irgendwann nicht mehr ertragen«, berichtet der 42-jährige Konditormeister, während sich in seinen Augen der Geist seiner Vergangenheit spiegelt.

Kuchen statt Scheine

Heidesand führte im Jahr 2008 als erstes Plätzchen überhaupt eine Kuchenwährung ein. Die zuvor geltende Währung, der Cookie-Dollar, wurde durch eine Reform für ungültig erklärt.
Am Himmel leuchten bereits die ersten Zimtsterne und die Mandelhörnchen suchen sich langsam ein nächtliches Schlafplätzchen. Franz Sacher flaniert mit federndem Schritt die Butterkeksalle entlang bis zum Strudelplatz, wo er den Bürgermeister der Insel, Paul Anton Esterházy, trifft. In seinem schwarz-weiß gestreiften Anzug ähnelt dieser ein wenig Willy Wonka aus der Schokoladenfabrik. »Seitdem wir hier auf Heidesand nur noch mit Kuchen und Torten bezahlen, sind die Menschen viel zufriedener« erzählt der 63-jährige.
Der Mann mit den ungarischen Wurzeln stellte mit seiner Reform das Leben der Bewohner Heidesands gehörig auf den Kopf. Per Volksabstimmung wurde über den Wert von Keksen, Kuchen und Torten abgestimmt. Eine Fahrradreparatur kostet jetzt zwischen einem Stück Butterkuchen und einem Frankfurter Kranz, abhängig von der Arbeitszeit. »Dort drüben bei Gottfried Wilhelm bekommen Sie einen neuen Haarschnitt sogar schon für ein paar Kekse«, betont Esterházy lächelnd und knuspert dabei an einem Spekulatius.

Eine Studie zur Jahrtausendwende ergab, dass Menschen, die täglich ein Stück Kuchen oder Torte essen, im Schnitt um bis zu 77% glücklicher sind. Damit verbunden sinken die Unfreundlichkeitsrate und die Unfallgefahr durch überhöhte Unhöflichkeit. Auch Sacher ist mit seinem neuen Leben auf Heidesand zufriedener. »Ich verstehe nicht, weshalb das Konzept nicht auch woanders übernommen wird. Fröhliche Menschen sind fleißiger, seltener krank und weniger streitsüchtig. Würde der Rest der Welt einmal sein kapitalistisches Handeln überdenken, würden ganze Kriege verhindert werden können«, sagt er.

Glückskekse auf der Expo

Esterházy hat Heidesand bereits für die Expo 2017 in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, angemeldet. Dort können die Besucher hautnah erleben, wie schön ein Leben ohne Hartgeld und Scheine sein kann. Mit Angeboten wie »Surfen auf der Donauwelle«, »Zitronenrollenspiel« und »Gugelweithupfen« sollen die neugierigen Menschen für die Kuchenwährung begeistert werden. Für ein Stück Himmelstorte können die Besucher der Weltausstellung dann sogar direkt Werbeaufträge annehmen, um die Idee auch in ihrem Land publik zu machen und somit Kriege zu verhindern. Obendrauf bekommt jeder Gast des Standes einen Glückskeks mit auf den Weg, denn die Heidesander Philosophie lautet: »Glückskekse sind die einzigen, die sich verdoppeln, wenn man sie teilt.»

Donnerstag, 7. April 2016

Wer klopft an meiner Tür?

2. Teil

Lange Zeit habe ich Dich vor meiner Tür warten lassen und Dich neben Deinen Kontrahenten kaum beachtet. Du warst mir zu konservativ, ja irgendwie zu altmodisch. Mächtig und stolz bist Du, wirkst bisweilen ein wenig eingebildet. Aber wer kann es dir verübeln? Du siehst bezaubernd aus, riechst  gut und schmeckst lecker – du erfüllst alles, was mein Herz begehrt. Also ließ ich Dich nun doch eintreten, als Du bei mir anklopftest. Ich konnte Dir nicht länger widerstehen und betrog für Dich sogar meine langjährige Liebe. Es hat sich gelohnt, du mein Sahnestück.




Liebe Schwarzwälder Kirschtorte,

die Liebe spricht eine ganz eigene Sprache. Eine Sprache, die zu sprechen mir manchmal nicht leicht fällt. Doch für Dich mache ich eine Ausnahme, denn ich muss Dir einfach gestehen, wie viel Du mir inzwischen bedeutest. Ich konnte es anfangs selbst kaum glauben. Du warst nicht mein Typ, denn ich stehe mehr auf Quark als auf Sahne und ziehe Äpfel Kirschen vor. Aber Liebe lässt sich nicht erklären, das ist reine Chemie. Verliebt habe ich mich zuerst in Dein Äußeres, das gebe ich zu. Rüge mich für diese Oberflächlichkeit, aber niemand würde es mir in Hinblick auf Deine vollkommene Schönheit übelnehmen, du wahres Schneewittchen aller Torten. Dein Boden so dunkel wie feinherbe Schokolade, deine Füllung weiß wie Sahne, durchzogen von kirschroter Füllung.  Doch es sind nicht nur Deine Schönheit und Deine königliche Ausstrahlung, die mir meinen Verstand rauben, ich habe mich auch in Dein Innerstes verliebt. Nach einem Tête-à-Tête mit dir fühle ich mich beschwipst. Ich bin sicher, die Ursache liegt nicht im Kirschwasser, sondern vielmehr an den Endorphinen, die meinen Körper überschwemmen, sobald ich von Dir koste.
Die anfängliche Verliebtheit, sie wich einem anderen Gefühl. Einem tiefen, wohlig warmen Gefühl, von dem ich mir fast sicher bin, dass es Liebe ist. Ständig könnte ich mit Dir zusammen sein und möchte am liebsten jeden Tag Zeit mit Dir verbringen. Ich ignoriere die Gerüchte, Beziehungen würden dick machen. Selbst wenn es so sein sollte, Du bist mir das ein oder andere Pfund auf meinen Hüften Wert. Tragischerweise können wir ohnehin nur eine Fernbeziehung führen und in einer solchen – ein klarer Vorteil – nehmen die Partner für gewöhnlich nicht zu. Ich bin mir sicher, dass wir alle wichtigen Tage im Jahr gemeinsam erleben werden und Du vor mir stehst, wenn ich Dich brauche, meine geliebte Schwarzwälder Kirschtorte.

In Liebe

Deine Sarah

Dienstag, 5. April 2016

Wer klopft an meiner Tür?

1. Teil

Ein zartes Klopfen erregt meine Aufmerksamkeit. Angestrengt lausche ich in die Stille hinein. Hatte ich mich verhört? Nein, da war es schon wieder. Leise und kaum wahrnehmbar, aber zweifellos da.

Es klopft an der Tür zu meinem Herzen.

Verschreckt ziehe ich mich zurück. Wer oder was mag dort draußen vor meiner Tür stehen? Sollte ich mutig sein, sie öffnen und den unbekannten Besuch hereinlassen? Äußerst selten öffne ich meine Tür, halte sie meistens fest verschlossen. Nicht, weil ich ungern Besucher empfange, sondern vielmehr aus Angst vor unliebsamen Gästen. Hinter dieser Tür, gut behütet wie ein Schatz, leben meine Familie und meine Freunde. Auch allerhand anderes verwahre ich hier, zum Beispiel die Harry-Potter-Septologie, Käsekuchen, meine Gitarre und Butterblumen. All jenes ist mit mir verbunden und so trage ich es im Herzen mit mir.

Es klopft noch immer.

Einige wenige Male habe ich meine Tür zu früh aufgeschlossen. In der Hoffnung, der neue Gast brächte Freude, Wärme, Feuerwerk und Glück in mein Leben, öffnete ich mein Herz und blickte in die hässlichen Fratzen von Trauer, Wut und Enttäuschung.

Zu früh gefreut,
zu früh vertraut, 
zu früh entschieden,
zu spät erkannt.

Doch nun klopft es schon wieder. Mittlerweile ist das Geräusch zu einem etwas lauterem Pochen angeschwollen. Neugier, Hoffnung, Angst und Erfahrung ringen miteinander um die Gunst der Entscheidungsmacht. »Wer ist wohl so kühn und bittet um Einlass?«, fragt die Neugier. »Vielleicht steht dort draußen das Glück«, überlegt die Hoffnung, »und vielleicht gibt es sogar Kuchen!«
Doch die Angst gibt zu bedenken: «Vielleicht ist es wieder nur die Enttäuschung, die uns erwartet« und die Erfahrung stimmt lakonisch zu: «Erinnert euch an das letzte Mal...«
Lange hadern die Gefühle miteinander, kochen hoch und schwappen über wie siedendes Wasser in einem Topf. Angst und Erfahrung errichten eine Mauer und versuchen, das Klopfen auszusperren. Vergebens.

Es hämmert an meiner Tür.

Mut gesellt sich zu Neugier und Hoffnung und gemeinsam gelingt es ihnen endlich, die Mauer zu stürzen und die Tür zu öffnen.

Und dort draußen vor meinem Herzen stehst Du und ich lasse Dich herein.


Mittwoch, 30. März 2016

Gibt es wirklich einen Schatz unter dem Regenbogen?



Dort! Am Himmel, zuerst nur ganz blass, erstrahlt ein Regenbogen in leuchtenden Farben. Für die Christen ein Mahnmahl Gottes, in der germanischen Mythologie der Übergang zwischen Menschen- und Götterwelt, für die heutige Gesellschaft ein Symbol der Toleranz und des Friedens; für mich ein Aufruf zur Schatzsuche.
Am Ursprung des bunten Bogens - das weiß der kundige Irlandfreund - befindet sich der Goldschatz des Leprechauns. Herrlich, welch Glück mir winken würde, fände ich diesen und das möglichst schnell!

 Und so begebe ich mich also auf den Weg, den Schatz zu finden. Laufe viele Straßen, Wege und Pfade entlang, durchquere verschlafene Dörfer, lebendige Städte sowie unbekannte Länder und sehe unterwegs die eindrucksvollsten Begebenheiten. Ich staune, wie Blumen im Licht der Sonne erblühen, wie Berge aus dem Nichts heraus in den Himmel wachsen und wie aus einem runden, harten Ei ein flauschiges Küken schlüpft. Die Welt ist voller Wunder, aber ich muss weiter, denn das Koboldgold wartet auf mich.
Auf meiner Schatzsuche begegne ich vielen interessanten und wunderbaren Menschen. Sie begleiten mich auf meiner Reise, doch nur wenige bleiben die ganze Zeit. Manche von ihnen treffe ich auf einem anderen Wegabschnitt noch einmal wieder. Dann reden wir über gestern, rätseln über morgen und feiern unser Wiedersehen heute. Nur eine Handvoll Menschen trage ich während meines Abenteuers im Herzen und ein paar andere im Rucksack, ganz nah bei mir. So viele weitere liebe Menschen hoffe ich, irgendwann einmal wiederzutreffen. Dann und wann denke ich an sie und frage mich, wie es ihnen auf ihrer eigenen Schatzsuche ergangen sein mag.Wer weiß, ob wir uns überhaupt wieder erkennen würden oder ob wir uns wie fremde Wandersleut' einfach bloß zunicken und »Grüß‘ Gott!« murmeln würden.
Die Reise zum Ursprung des Regenbogens ist zuweilen beschwerlich und von Zeit zu Zeit doch federleicht. Gekonnt hüpfe ich über so mancherlei Stein, der mir den Weg zu versperren droht. Das Ziel vor Augen trägt mich mein Wille immer weiter. Helle Nächte und dunkle Tage durchwandere ich; ab und zu führt der Weg mit leichtem Gefälle geradeaus und streckenweise führt er mich steil und kurvig einen Berg hinauf. Nicht mehr weit muss ich laufen, dann finde ich den Schatz, mein Glück. Es wartet schon auf mich, das spüre ich.

 Als ich das Ende des Regenbogens endlich erreiche, bin ich völlig erschöpft. Zeit, Mühe und Nerven kostete mich diese Reise und erstaunt bemerke ich, dass der Schatz gar nicht aus dem Gold des Kobolds besteht, sondern mich bereits die ganze Zeit begleitet hat. In meinem Herzen.

Donnerstag, 24. März 2016

Als Dorfkind in der Großstadt

Wenn man als Dorfkind flügge wird, das Nest der trauten Heimat verlässt und plötzlich in einer Großstadt landet, dann verändert sich alles. Die Umgebung, der Blick auf die Welt und man selbst. Auch ich sprang vor einigen Jahren ins kalte Wasser und tauchte ein in ein Meer von Möglichkeiten. Gewöhnt an lange Fußmärsche oder Fahrradtouren, weil der Bus höchstens einmal in der Stunde und nicht später als 19:27 Uhr das Dorf verlässt, findet man sich plötzlich in der wunderbaren Situation wieder, nicht mehr als 10 Minuten auf ein öffentliches Verkehrsmittel zu warten. Muss man sich doch einmal länger gedulden, so kann man um sich herum, gleich einem Wimmelbild, allerhand entdecken und beobachten:
Stadtmenschen sind eine Klasse für sich. Sie tragen stets einen Coffee-to-Becher in der einen, ihr Smartphone in der anderen Hand. Sie wickeln sich in deckengroße Schals und tragen hippe Hüte auf ihren Köpfen. Die Haare bunt gefärbt, rasiert oder kunstvoll zu einer gerade-aufgestanden-Frisur verstrubbelt. Ihr Blick ist cool, so als merkten sie nicht, dass ich sie anstarre wie ein Kunstobjekt. Mit dicken Kopfhörern auf den Ohren und mit überdimensionalen Mänteln bekleidet rauschen sie an mir vorbei, während ich alle paar Meter stehen bleibe, um die Faszination Stadt für mich zu begreifen.

 Häuser ragen weit in den Himmel hinein. An ihren Fassaden prangen bunte Graffitis, tragen einen Teil zum Stadtdiskurs bei. Botschaft an die Gesellschaft, politische Rebellion oder einfach nur der Wunsch, etwas Verbotenes zu tun? Ich frage mich, was die Intention des Sprayers war, der einen Kackhaufen, aus dem eine rote Blume zu wachsen scheint, an die Seitenmauer eines gelb gestrichenen Gebäudes gesprüht hat.
An jeder Ecke gibt es kleine Kneipen oder Cafés und am Abend habe ich die Wahl zwischen Irish Folk, elektronischer Tanzmusik, einer Aufführung von Goethes Faust und einem französischen Kunstfilm aus den 1960er Jahren. Ich entscheide mich schließlich für einen Cocktailabend mit Freunden in einer spanischen Bar, die bereits zahlreiche Preise für ihre außergwöhnlichen Getränkemischungen gewonnen hat. Während ich mich auf dem Rückweg frage, ob es für das Wort „Cocktail“ eigentlich ein deutsches Wort á la „Getränkemischung“ gibt, fällt mir auf, wie viele Menschen nachts unterwegs sind und freue mich über die Lebendigkeit des Stadtlebens. Selten sitze ich allein im Bus, selbst nachts um drei Uhr nicht. Mit einer Mischung aus Ängstlichkeit und Neugier werfe ich den Mitfahrenden Blicke zu, überlege im Geiste, welche Lebensgeschichten diese Personen in sich tragen. Einige wirken, als würde sie nur noch die Chemie der Drogen am Leben halten, die sie zuvor zerstört hat.

 Doch der Zauber der Großstadt verblasst mit der Zeit. Der Reiz der unendlichen Möglichkeiten ist verloren, ich bleibe zuhause und fühle mich nicht nur in meiner kleinen Wohnung wie in einem Meerschweinchenkäfig. Die Stadt ist eng und anonym. Selbst nach Jahren der Nachbarschaft, kenne ich die Namen der anderen Mieter in meinem Haus nur von den Briefkastenschildern und würde die dazugehörigen Personen nicht einmal erkennen, wenn ich ihnen unterwegs begegnete. Die Stadt quillt über vor Menschen und doch fühle ich mich wie ihr einziger Bewohner. Vorbei ist die  Zeit, in der mich die Leute durch ihre Extravaganz beeindruckt haben. In ihrem zwanghaften Streben nach Individualität laufen sie uniformiert durch ihr Viertel. Ihr Anblick langweilt mich. Lediglich die knalligen Farben ihrer Turnschuhe, die sie zu viel zu kurzen und engen High-Waist-Bluejeans tragen, unterscheiden sich. Turnbeutel, dicke Fensterglasbrillen und Loophaargummis, bei denen ich immer an die Telefonkabel früher Festnetztelefone denken muss -  überall sehe ich die gleichen, angepassten Menschen. Sie gucken nicht cool, sondern genervt, wenn der Bus mit dem sie ins Fitnessstudio fahren, fünf Minuten zu spät kommt. Nebeneinander stehen sie da, starren auf ihre Handys und haben verlernt, ihre Umgebung wahrzunehmen. Ich vermisse die Zeit, wo ich beim Warten auf den Bus in meinem Heimatort meinem Schwarm heimliche Blicke zuwarf, scheu lächelte und schnell zur anderen Seite schaute, sobald er es bemerkte. Hier in der Stadt werden keine Blicke ausgetauscht und gelächelt wird nur noch für die Handykamera und das neue Selfie für Instagram. Mir fehlen die Menschen mit ihren dicken Gummistiefeln und grünen Allwetterjacken, die einem zunicken, wenn man sich zu ihnen in das Buswartehäuschen stellt. Meine Dorfbewohner mit ihrer liebenswerten mürrischen Art lächeln zwar ebenso selten, aber wenn, dann kommt es von Herzen.

 Nachts laufe ich durch die Straßen und blicke in den hellschwarzen Himmel. Mir fehlen die vielen Sterne und der verlorene Blick in die Unendlichkeit des Universums. Die Stadt pulsiert wie unter einer Glocke. Nicht weiter als bis zum nächsten Häuserblock reicht der Blick. Ich vermisse es, über die Wiesen und Felder zu schauen, vermisse den Geruch nach frischem Heu und geschnittenem Rasen. Auch die steife Briese fehlt mir hier, die mir im Garten um die Nase wehte und meine Haare durcheinanderwirbelte.
Stadtleben, du hast mich aufgefangen, als ich aus dem Nest gefallen bin, aber ich weiß schon jetzt, dass wir unsere Beziehung nicht ewig werden fortführen können. Noch kommen wir miteinander klar, trotzdem werde ich dich irgendwann verlassen. Ich weiß, es ist eine der meistgehassten Phrasen, aber ich meine sie ernst: Lass' uns danach doch einfach Freunde bleiben.