Samstag, 13. August 2016

Vom Suchen und Finden der Wahrheit


Am Stamme einer toten Birke sitzend, steht sie auf einmal vor mir. Nackt.

«Wer bist du?», frage ich verwirrt.
«Die Wahrheit», antwortet sie. Einfach so. Als hätte ich gerade meine Nachbarin nach der Uhrzeit gefragt.
«Die Wahrheit? Aber... aber ich habe doch gar nicht nach dir gesucht!», stottere ich.
«Das musst du auch nicht, denn ich bin immer da», erklärt sie mit ruhiger, bestimmter Stimme und sieht mich mitfühlend an.

Ich mustere sie nachdenklich, versuche zu erkennen, wie sie aussieht, doch es gelingt mir nicht. In einem Augenblick strahlt sie eine solche Schönheit aus, die mein Bewusstsein überfordert, während ich im nächsten Moment in eine grässliche Fratze schaue und meinen Blick erschreckt abwende.

«Wieso habe ich dich noch nie zuvor gesehen?», frage ich sie blinzelnd.
«Weil du deine Augen vor mir verschlossen hast.»
«Und was passiert jetzt?»
«Das entscheidest du.»

Ich kneife die Augen zusammen und erwarte beim Öffnen, dass sie verschwunden ist. Aber nein, die Wahrheit steht noch vor mir. Zwar verschwimmt ihr Äußeres immer wieder vor meinen Augen, jedoch sehe ich ihr Inneres ganz klar. So klar wie den Meeresboden am Strand vor der griechischen Küste, schießt es mir durch den Kopf. Vorsichtig stehe ich auf und gehe ein paar Schritte den kleinen Pfad entlang als ich bemerke, dass die Wahrheit stets vor mir schwebt. 

«Bleibst du jetzt für immer bei mir?»
«Solange du mich erträgst», sagt sie da und lächelt traurig.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen